Die Kunst der Widerstandskraft

Manche Menschen scheinen mit Niederlagen besser fertig zu werden, geraten offensichtlich nicht so schnell in Stress, rappeln sich nach schwierigen Lebenssituationen schnell wieder auf. Was ihnen dabei hilft, ist eine gut entwickelte Resilienz, also ein starkes psychisches Immunsystem. Und das kann mit Training weiter gestärkt werden

Von Ann-Britt Petersen

Wer kennt das nicht, eine Zeitlang scheint gar nichts mehr zu klappen, eine Pechsträhne nicht enden zu wollen. Da geht erst das Auto kaputt, kurz darauf kommt eine unerwartet hohe Steuernachforderung ins Haus geflattert und noch dazu hat man sich gerade eine dicke Grippe eingefangen. „Hinfallen, aufstehen, Krone gerade rücken und weiter gehen“ ist eine beliebte Redewendung für solche Situationen. Sie steht dafür, die Widrigkeiten des Lebens mit Würde zu bewältigen, und sich nicht so schnell geschlagen zu geben. Das ist manchmal leichter gesagt als getan. Vor allem dann, wenn eine schwere Krankheit, eine Trennung oder ein Trauerfall das Leben erschüttert. Doch die Menschen verfügen über eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Ressource, mit der sie durch solche Krisen kommen: Ihre seelische Widerstandskraft, die sogenannte Resilienz.
Der Begriff Resilienz stammt vom lateinischen resilire, das übersetzt abprallen bedeutet. Ursprünglich wurde der Begriff in den Materialwissenschaften genutzt, dort bezeichnet er die Eigenschaft eines Werkstoffes, der sich trotz äußerer Einwirkungen nicht oder nur kurzfristig verformt und dann in seine ursprüngliche Form zurückkehrt. Der Begriff wurde von der Psychologie übernommen, als sie sich vor mehr als 50 Jahren intensiver mit der Frage befasste, wie Menschen es schaffen, angesichts negativer Lebensverhältnisse psychisch gesund zu bleiben. In ihrem Buch „Resilienz. Die Kunst der Widerstandskraft“ beschreiben die Wissenschaftlerinnen Dr. Donya Gilan und Dr. Isabella Helmreich unter anderem wie sich die Forschung zunächst in den USA entwickelte.
Sie stellen etwa eine der bekanntesten Studien zur Resilienzforschung vor. Die amerikanischen Entwicklungspsychologinnen Emmy Werner und Ruth Smith untersuchten über 40 Jahre lang eine ganze Generation von Kindern, die 1955 auf der hawaiianischen Insel Kauai geboren worden waren. In ihrer Langzeitstudie kamen sie zu interessanten Ergebnissen. Aus einem Teil der Kinder, die unter sehr schlechten Startbedingungen aufwuchsen, wurden dennoch starke Persönlichkeiten. Die Forscherinnen machten dafür verschiedene individuelle und soziale Faktoren aus, die die positive Entwicklung beeinflussten. Dazu zählte etwa die stärkende Verbindung zu einer Person außerhalb der Familie. Andere Studien, auch in Europa, ermittelten weitere Faktoren, die eine starke Resilienz unterstützen. Die Wissenschaftler kamen zu einer erfreulichen Erkenntnis: „Resilienz ist keine unveränderbare Persönlichkeitseigenschaft, sondern ein dynamischer und trainierbarer Anpassungsprozess“, schreiben die Psychologinnen Gilan und Helmreich in ihrem Buch. Das heißt die seelische Widerstandskraft kann mit Training verbessert werden.
Wenn es stressvolle und krisenhafte Phasen im Leben gibt, wenn man mit Veränderungen, wie etwa den Auswirkungen des Älterwerdens fertig werden muss, helfen mehrere Faktoren dabei, die seelische Widerstandskraft zu stabilisieren. Dazu zählen: Akzeptanz, Optimismus, Selbstwirksamkeit, Verantwortung, Netzwerk-, Lösungs- und Zukunftsorientierung sowie für manche Menschen auch Religiosität und Spiritualität. „Ein erster wichtiger Punkt in einer Krise ist die Akzeptanz. Das heißt nicht, sich die Situation schön zu reden, sich aber auch nicht in eine Opferrolle zu begeben“, sagt Broer Broers. Als Theologe und Coach für Lebensfragen begleitet er immer wieder Menschen in schwierigen Situationen. Das sei je nach Phase nicht immer ganz einfach, sagt der Trainer, der auch Präsidiumsmitglied von NEW GENERATION ist. „Wer einen Unfall mit schweren körperlichen Folgen hatte, braucht eine gewisse Zeit, um die Wirklichkeit so anzunehmen wie sie ist“, sagt Broer Broers. Wer dazu neigt, sich in eine Opferrolle zu begeben, verstellt sich die Möglichkeit, seine Situation zu verändern. Er wird inaktiv. „Es ist aber besser, sich als Gestalter seiner eigenen Lebensgeschichte auf das zu fokussieren, was man beeinflussen und gestalten kann“, sagt Broers. Wer handelt, entdeckt auch neue Wahlmöglichkeiten. Dann kann aus einer Krise eine Chance für Neues werden.
Wie schon die Kauai-Studie gezeigt hat, ist auch der Aufbau sozialer Netzwerke ausschlaggebend für die innere Stärke. Jemand der zuhört und für einen anderen da ist, kann eine große Hilfe im Auf und Ab des Lebens sein. „Eine Kollegin von mir war an Krebs erkrankt und hatte bereits mehrere Chemotherapien hinter sich. Doch sie besaß ein gutes soziales Umfeld. Besonders wichtig war für sie dabei ihr Chor. Sie ließ möglichst keine Probe ausfallen, alle wussten von ihrer Krankheit, sie brauchte nichts zu erklären und empfand die Solidarität der anderen als große Stütze“, so Broers.
Soziale Kontakte und Engagement im Ehrenamt halfen auch NEW GENERATION Mitglied Heiner Bahns aus einer schweren Zeit. Der Witwer hatte bereits seine erste Frau nach einer längeren Krankheit verloren. Kurz nach seiner Pensionierung starb seine zweite Ehefrau an Krebs. „Das war keine leichte Zeit, ich habe lang gebraucht, bis ich wieder auf die Beine kam“, sagt er heute. Irgendwann machte ihn eine Bekannte auf NEW GENERATION aufmerksam. „Der Verein sprach mich mit seinem Angebot gleich an“, sagt der ehemalige Lehrer. Mittlerweile gestaltet Heiner Bahns sehr aktiv das Clubleben mit. Er engagiert sich in der Programm AG und bietet regelmäßiges Gedächtnistraining an. Neben dem Club ist er unter anderem ehrenamtlicher Pate bei Leseleo, einem Verein zur Sprachförderung von Kita- und Grundschulkindern. „Alle diese Engagements tun mir gut, sie geben meinem Alltag Struktur, bringen Austausch und Anerkennung, ich merke, ich werde gebraucht“ freut sich Heiner Bahns.
Wenn unsere Resilienzfaktoren nicht so gut ausgeprägt sind, wenn etwa die optimistische Überzeugung, dass sich alles zum Positiven wendet, nicht unbedingt zur eigenen Stärke gehört, lohnt es sich umso mehr, eigene Ressourcen wahrzunehmen und zu fördern. „Der Mensch hat immer Wachstumspotential. Er muss nicht Opfer seiner bisherigen Einstellungen sein. Alte Verhaltensmuster, die sich nicht als hilfreich erweisen, können auch wieder verlernt werden“, sagt Broer Broers.
Äußerst positiv wirkt dabei auch die Suche nach den eigenen Kraftquellen im Alltag. „Für den einen ist das ein intensiver Spaziergang, für den anderen ein Austausch mit guten Freunden oder ein besonderes Ritual, das ist ganz individuell“ sagt der Coach. Wenn man in besonders schweren Phasen merkt, dass man keine Kraft mehr hat, kann schon diese Erkenntnis wertvoll sein, denn sie macht es möglich, auch Hilfe von außen anzunehmen.
Man kann also lernen, mit Herausforderungen besser fertig zu werden, konstruktiv mit ihnen umzugehen, „sodass Sie trotz Schwierigkeiten ein erfüllteres Leben führen“, schreibt Resilienz-Expertin Jutta Heller in ihrem Ratgeber „Resilienz. 7 Schlüssel für mehr innere Stärke“ (Verlag GU). Und um es mit Max Frisch zu sagen: „Die Krise kann ein produktiver Zustand sein, man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“

Lesetipp
Es sind bereits viele Ratgeber zum Thema Resilienz erschienen, die oft auch Übungsprogramme enthalten. Einen umfassenden Einblick in das Thema gibt das neue Buch „Resilienz – Die Kunst der Widerstandskraft. Was die Wissenschaft dazu sagt“ (Herder Verlag, 2021). Die Psychologin Donya Gilan und die Psychotherapeutin Isabella Helmreich, beide vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung Mainz haben sich dem derzeitigen Trendthema mit einem wissenschaftlichen Blick genähert. Unterstützt wurden sie dabei von Omar Hamad, Stressforscher am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz. Die Autoren geben einen interessanten Einblick in die Entwicklung der Resilienzforschung und beziehen dabei auch philosophische Vorläufer mit ein. Sie stellen drei Fallbeispiele von resilienten Personen vor, erörtern wie unser Gehirn und unsere Gene mit der Resilienz zusammenhängen und warum Resilienz trainierbar ist. Das alles ist sehr informativ und dennoch gut verständlich geschrieben. In den letzten beiden Kapiteln werden die Perspektiven und Grenzen des Resilienzkonzeptes aufgezeigt und ihre Anwendungsmöglichkeiten für die ganze Gesellschaft hinterfragt. Eine Lektüre für alle, die mehr über das Phänomen der seelischen Widerstandskraft erfahren wollen. pet

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