Forschen für den Frieden
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Forschen für den Frieden

Seit 51 Jahren besteht in Hamburg das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH). Welche Aufgaben es hat und wie sich die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen veränderten, erläutert die wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Anna Kreikemeyer im Gespräch mit Ann-Britt Petersen

Dr. Anna Kreikemeyer ist promovierte Politikwissenschaftlerin und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg mit friedensrelevanten Entwicklungen im postsowjetischen Raum befasst. Ihr aktueller Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung der Friedensgestaltung lokaler Akteure im eurasischen Raum. Dazu Dazu kooperiert sie u.a. mit dem Centre for Peace Studies, Tromsö, Norwegen und mit Universitäten in Kirgisistan und Georgien und steht mit ihnen im regelmäßigen Austausch.
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NEW Wie sieht Ihr Themenbereich aus?
Kreikemeyer: Zu Beginn meiner
Arbeit lag der Fokus auf der Frage nach der Friedensfähigkeit Russlands zum Ende des Kalten Krieges. Mit der Umsetzung der Perestroika und dem Fall des Eisernen Vorhangs hatte sich die Sowjetunion in Russland und weitere unabhängige Staaten aufgelöst, darunter die Ukraine, Kasachstan, Georgien, Aserbaidschan. Europa war zu jener Zeit um 1990 voller Hoffnung, dass sich die Länder demokratisch entwickeln und friedliche Nachbarn werden. In der OSZE Charta von Paris im November 1990 erklärten die früheren Gegner des Warschauer Paktes und der Nato den Kalten Krieg für beendet. Man wollte sich auf Demokratie und Abrüstung fokussieren.
NEW Doch die Politik in Russland entwickelte sich anders als erwartet …
Kreikemeyer: 1991 wurde das wirtschaftliche System in Russland praktisch auf null gesetzt. Während die breite russische Bevölkerung in große Not geriet und Hunger litt, konnten die, die an den Schalthebeln der Macht saßen, sich eine wohlhabende Zukunft sichern. Wenn etwa Pläne laut wurden, die russische Staatsbahn oder ein russisches Stahlwerk zu privatisieren, konnten sich Leute mit Beziehungen zur Regierung und dem Wissen über deren Pläne rasch Anteile an den Unternehmen verschaffen. So entwickelten sich die neureichen Oligarchen, sie bekamen immer größere wirtschaftliche Macht, was sie in der Bevölkerung unbeliebt machte.
Die schockartige Umgestaltung von der Planwirtschaft in die kapitalistische Marktwirtschaft war das eine. Die Vorhaben der Regierungen, Demokratien zu entwickeln erwiesen sich rasch als Lippenbekenntnisse. So entstanden rasch wieder – wie schon in der Sowjetunion und im Zarismus – autoritäre Machtstrukturen mit einem Präsidenten, der die Politik allein bestimmt. Seit 2000 ist das als Nachfolger von Boris Jelzin bekanntlich Wladimir Putin.
NEW Die Entspannung zwischen Ost und West war wieder gefährdet?
Kreikemeyer: Mit dem Zerfall Jugoslawiens kam es zu Kriegen in Europa.Und bei Putin trat immer deutlicher sein Großmachtstreben hervor. Er fühlte sich durch die Nato-Osterweiterung bedroht und verlangte deren Rücknahme. Trotz Abrüstungsverhandlungen rüsteten sowohl die USA als auch Russland weiter auf. Der Einmarsch und die Annektierung der Krim 2014 belastete das Ost-West-Verhältnis weiter. Der Angriffskrieg auf die Ukraine warf die Friedenshoffnungen weit zurück.

NEW Was macht das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik?
Anna Kreikemeyer: Das IFSH erforscht und analysiert friedens- und sicherheitsrelevante Herausforderungen unserer Zeit. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Institutes arbeiten dabei in verschiedenen Projekten auch interdisziplinär. Im Forschungsbereich Europäische Friedens- und Sicherheitsordnungen entwickeln sie unter anderem Konzepte, wie Frieden in EU-Europa und den angrenzenden Staaten erreicht und erhalten werden kann. Mit ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen beraten die Forscher auch Politiker und sind an der Ausarbeitung von Friedenskonzepten beteiligt, etwa für die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

NEW Warum wurde das Institut 1971 gegründet?
Kreikemeyer: Damals stand die Welt unter der Spannung des Ost-West-Konfliktes der beiden Großmächte, also dem demokratischen Westen mit den USA und den real-sozialistischen Staaten des früheren Warschauer Paktes mit der Sowjetunion. Während der Zuspitzung des Ost-West-Konfliktes wuchs auch in Hamburg, wie zuvor schon andernorts der Wunsch, die Friedensforschung akademisch zu verankern. Gründungsdirektor wurde der Generalleutnant a.D. Wolf Graf von Baudissin, der die Bundeswehr mitbegründet hatte und für eine praxisorientierte Forschungsarbeit stand. 1984 legte sein Nachfolger Minister a.D. Egon Bahr als Verfechter der deutsch-deutschen Annäherung den Schwerpunkt auf die Erarbeitung von Lösungen für gemeinsame Sicherheit zwischen Europa und den östlichen Nachbarn. Mit den politischen Veränderungen in Europa erweiterten sich auch die Forschungsbereiche des Institutes, das heute von Professorin Ursula Schröder geleitet wird.

NEW Welchen Sinn machen wissenschaftlich entwickelte Friedensszenarien in dieser Situation überhaupt?
Kreikemeyer: Es werden viele Szenarien durchdacht, etwa wie sich die OSZE und die Regionalmächte Russland gegenüber verhalten sollten und was die Ukraine tun kann. Auch wenn Waffenlieferungen derzeit im Fokus stehen, darf der Frieden als Ziel nicht aus dem Blick verloren werden. Das beginnt schon bei Fragen von befristeten Waffenstillständen, um humanitäre Hilfen oder Getreidelieferungen zu ermöglichen.
Leider gibt es derzeit über den Krieg hinaus noch weitere Herausforderungen, die die innere Sicherheit eines Landes gefährden können, dazu gehören die Pandemie und der Klimawandel. In verschiedenen Projekten befasst sich das IFSH auch mit diesen Herausforderungen und untersucht, wie Menschen sich verhalten, um den Frieden in ihrem Umfeld zu gestalten.

NEW Der jüngste Forschungsbereich des Institutes heißt „Doing Peace“, was steckt dahinter?
Kreikemeyer: Auch wenn die Verhältnisse zwischen Staaten konfliktreich sind, können Menschen auf lokaler Ebene friedlich handeln. In dem Forschungsprojekt „Doing Peace“ untersucht das IFSH wie sich Bürger und Bürgerinnen engagieren und was sie auf gesellschaftlicher Ebene erreichen. Meine Kollegen forschen dafür auch vor Ort in Hamburg, wo Menschen sich zum Beispiel im Bereich der Flüchtlingshilfe oder in den Aktionen für den Klimaschutz engagieren.
NEW Welche Erkenntnisse haben Sie in diesem Themenfeld gewonnen?
Kreikemeyer: Mein Schwerpunkt innerhalb des Projektes liegt im postsowjetischen Raum. Im Kaukasus herrscht ein andauernder Grenzkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach, der schon zu mehreren Kriegen führte. Im Nachbarstaat Georgien leben, neben vielen Völkern, auch Armenier und Aserbaidschaner trotz der Auseinandersetzungen friedlich miteinander. Sie laden sich zu Familienfesten ein und bezeugen ihren Respekt füreinander. Dies basiert auf kulturell verankerten Traditionen. Die staatlichen Konflikte werden einfach ausgeklammert. Das zeigt, dass Menschen enorme Fähigkeiten haben, sich angesichts von Unterdrückungsmechanismen gegenseitig zu helfen. Ich sehe darin einen Lichtblick, der zu neuen Modellen der gesellschaftlichen Konfliktregelung anregen kann. Und der uns zu weiteren Forschungen antreibt.

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